Auch für erfahrene Crews der ADAC Luftrettung emotional schwer zu ertragen: Einsätze im Hochwasser-Katastrophengebiet. / Weiterer Text über ots und www.presseportal.de/nr/122834 / Die Verwendung dieses Bildes ist für redaktionelle Zwecke unter Beachtung ggf. genannter Nutzungsbedingungen honorarfrei. Veröffentlichung bitte mit Bildrechte-Hinweis.

Offenbar gibt es Fälle, die Auszahlungen zu verschleppen oder Kunden so lange hinzuhalten, bis sie zu Kompromissen bereit sind. Ein Verhalten, wie es vielleicht viele Versicherte von ihren Haftpflicht- und Hausratversicherungen her kennen. Hier geht es aber um die Existenzen von Menschen.

Die Versicherer sind mächtig stolz auf sich: Drei Viertel der Schäden, die das Sturmtief Bernd im Sommer 2021 angerichtet hat, sind reguliert, meldete der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) Anfang Juli. „So gut wie jeder Hausbesitzer, der versichert war, hat schnell Geld von seiner Versicherung erhalten“, so der Verband. Vom versicherten Gesamtschaden von 8,5 Milliarden Euro seien fünf Milliarden Euro bereits ausgezahlt.

Diese Begeisterung kann der Bonner Anwalt Markus Gerd Krämer jedoch nicht teilen. Er vertritt rund 80 Mandanten aus dem besonders stark getroffenen Ahrtal. Sorgen bereitet ihm das ausstehende Viertel der Schadenfälle. Nicht alle Versicherer verhielten sich vorbildlich, kritisiert er. Einige seien bei der Schadenregulierung einfach nur unflexibel und hielten an „Schema F“ fest. Andere versuchten offenbar aufgrund der hohen Schadenbelastung, Auszahlungen zu verschleppen oder Kunden so lange mürbe zu machen, bis sie zu Kompromissen bereit sind.

Dass ein Jahr nach der Katastrophe ein Viertel der Schäden nicht reguliert ist und mehr als 40 Prozent der Leistungen noch nicht ausgezahlt sind, liege nicht an ihnen, behaupten die Versicherer. Schuld seien vielmehr die Engpässe bei Baumaterialien und der Mangel an Handwerkern. Darauf verwies auch Norbert Rollinger, Chef des Versicherers R+V, der zum genossenschaftlichen Finanzsektor zählt. Rollingers Stimme hat Gewicht, er soll im September neuer Präsident des GDV werden. „Das Geld steht bereit, aber auf die Engpässe haben wir keinen Einfluss“, sagte er. Die Versicherer Zurich und Gothaer argumentieren ähnlich. Viele Schäden seien sehr komplex, dazu kämen schwer verfügbare Handwerkerleistungen und Baustoffe.

Beide Faktoren sind nicht von der Hand zu weisen. Doch der auf das Versicherungsrecht spezialisierte Anwalt Krämer sieht die Probleme größtenteils woanders, nämlich bei den Versicherern. „Dass 25 Prozent der Schäden noch nicht reguliert sind, ist eigentlich ein Hammer“, sagte er. Seiner Meinung nach handelt es sich dabei vor allem um die schweren Schäden im Ahrtal. „Im Grunde kann man sagen, das noch nicht regulierte Viertel fängt im Ort Schuld an und hört in Sinzig auf.“ Dass die „unkomplizierte Masse an 20 000 Euro-Schäden“ bereits abschließend reguliert ist, sei eigentlich nicht der Rede wert, findet er.

„Abschließend reguliert“ bedeutet nicht, dass ein Schaden angemessen reguliert worden ist

Auch der Düsseldorfer Fachanwalt Mark Wilhelm sieht die Erfolgsmeldung des GDV skeptisch. „Man muss sich hier fragen, welche Schadenfälle es sind, die bereits reguliert sind, und welche noch offen sind“, sagte er. Auch für ihn deutet einiges darauf hin, dass vor allem viele kleinere Schäden schon erledigt sind. Zu den noch nicht abgeschlossenen Fällen gehörten dagegen überproportional viele große und teure Schadenfälle. Dass ein Schaden laut dem Versicherer „abschließend reguliert“ ist, bedeute außerdem nicht zwangsläufig, dass er aus Sicht der Kunden angemessen reguliert ist, betonte er.

Manche Schadenregulierer von Versicherungsgesellschaften hätten nach der Flut versucht, Kunden mit Auszahlungsangeboten abzuspeisen. Für die Kunden sei diese schnelle Hilfe verlockend gewesen, allerdings deckten die Schecks in der Regel nur einen Teil der tatsächlichen Schadensumme ab. „Diese Deals werden viele Kunden in ihrer Not angenommen haben“, vermutet Wilhelm.

Wilhelm stellt ein „seltsames Regulierungsverhalten“ mancher Versicherer fest. Grundsätzlich sei zu beobachten: Je höher die Summe ist, desto wahrscheinlicher sind Probleme zwischen Kunden und Versicherer. „Bei uns liegen natürlich nur die harten Negativfälle auf dem Tisch“, sagte er.

Ein häufiger Streitfall zwischen Versicherern und Kunden: Muss ein stark beschädigtes Haus, das nicht nur im Erdgeschoss, sondern auch auf weiteren Etagen von Schlammwasser durchspült wurde, lediglich saniert oder vollständig neu aufgebaut werden? „Die Versicherer stehen hier schnell auf dem Standpunkt, dass eine Sanierung noch funktioniert“, sagte Wilhelm. „Eine Sanierung kostet nur ein Drittel eines Neubaus.“ Problematisch ist nicht nur das Wasser, das die Gebäude stark in Mitleidenschaft gezogen hat, sondern ausgelaufenes Heizöl, das Häuserwände und -decken komplett kontaminiert. „Hier kann man meistens nur noch abreißen und neu aufbauen, weil man das Heizöl kaum aus dem Haus bekommt“, so Wilhelm.

Die Schadenrückstellungen der meisten Gesellschaften wurden viel zu niedrig angesetzt

Anwalt Krämer aus Bonn moniert, dass bei vielen Versicherern bei der Bearbeitung der Bernd-Schäden von Beginn an einiges schiefgelaufen sei – angefangen bei der Erfassung der Schäden unmittelbar nach der Katastrophe und der Bestimmung der notwendigen Rückstellungen. Es habe viel zu wenig qualifizierte Experten gegeben, die das wahre Schadenausmaß erkennen konnten. Das Ergebnis: Die Schadenrückstellungen der meisten Gesellschaften seien viel zu niedrig angesetzt worden. Er wolle den Versicherern an dieser Stelle angesichts überlasteter Schadenabteilungen und der anfangs schwer zu überblickenden Schadendimension gar keinen Vorwurf machen, betonte er. „Die Versicherer haben dann später festgestellt, wie teuer die Schäden werden können, die auf den ersten Blick gar nicht so schlimm aussehen“, so der Anwalt. „Wir haben alle aus dem Ereignis gelernt.“

Allerdings: Einige Versicherer hätten zum Glück schnell eingesehen, dass ihre etablierten Abläufe im Schadenfall bei einem Ereignis wie Bernd nicht mehr praktikabel sind, und ihre Vorgänge daraufhin beschleunigt. Davon hätten ihre Kunden und auch sie selbst profitiert. Andere machten ihren alten Stiefel weiter, berichtete Krämer. Dazu zählt er Debeka und Alte Leipziger. „Da werden Sachverständige rausgeschickt, die Kostenvoranschläge anfordern, diese prüfen, Sachen streichen und dann wieder zurückschicken, und so weiter“, monierte er. So gehe sehr viel Zeit ins Land, bevor der Schaden erstmals auf dem Tisch des Schadenbearbeiters beim Versicherer landet. „Man kann bei so einem Ereignis einfach nicht so vorgehen, als ob es um eine undichte Stelle in der Einbauküche geht.“

Die genannten Versicherer wehren sich. Ein Sprecher der Alten Leipziger wies die Vorwürfe als zu pauschal zurück. Auch die Debeka kann das nicht nachvollziehen. „Wir haben kein Interesse daran, uns mit unseren Kunden zu streiten oder Vorgänge und Zahlungen zu verzögern“, sagte ein Sprecher. In der privaten Wohngebäudeversicherung seien 83 Prozent der Schäden abschließend bearbeitet. Die noch ausstehenden 17 Prozent seien auf nicht verfügbare Handwerker zurückzuführen.

Einige Versicherer drängten die Kunden dazu, sich mit einem Teilbetrag zufriedenzugeben

Bei manchen Gesellschaften vermutet Krämer hinter den langwierigen Abläufen die Absicht, die Schadenlast zeitlich zu strecken. „Wenn ein Versicherer nicht alle Schäden auf einmal zahlen kann, weil das zu teuer ist, dann verschleppt er das.“ So ein Vorgehen sei ihm angesichts seiner langjährigen Tätigkeit als Jurist in den Rechtsabteilungen bei den Versicherern Ergo und Zurich bestens vertraut.

Einige Versicherer hätten im vergangenen Herbst offensichtlich festgestellt, dass das für die Schäden reservierte Geld aufgebraucht ist, berichtete er. Leistungen, die Ende 2021 noch auf sich warten ließen, seien dann erst Anfang 2022 ausgezahlt worden. Mancher Hausbesitzer hat eine Ablehnung erhalten, während der etwas früher angemeldete Schaden des Nachbarn zuvor noch reguliert wurde.

Auch ist die Taktik zu erkennen, Kunden aus dem Ahrtal mit der Zeit mürbe zu machen und dann zu einem Vergleich zu bewegen. Einige Versicherer drängten die Kunden dazu, sich mit einem Teilbetrag zufriedenzugeben, und sich den Rest dann bei der Investitions- und Infrastrukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) zu holen. Um staatliche Unterstützungsleistungen für den Wiederaufbau ihres Gebäudes beantragen zu können, müssen Flutopfer jedoch angeben, ob sie versichert waren – und wenn ja, welche Leistungen sie aus ihrer Police erhalten haben.

Ohne Entscheid des Versicherers ist also kein Antrag bei der ISB möglich. „Das wissen die Versicherer natürlich und setzen darauf, dass der Kunde dann irgendwann auf ihren Deal eingeht, damit er endlich wiederaufbauen kann“, so Krämer. Das Problem an den staatlichen Mitteln: Der Kunde bekommt zwar den Gebäudeschaden ersetzt, er verliert aber darüber hinaus einiges, vor allem die Entschädigung für die Eigenleistungen und Unterbringungskosten.

Ein Problem war die Qualität externer Sachverständiger

Bei aller Kritik an einzelnen Versicherern: Es gibt unter ihnen auch viele Positivbeispiele, betonte der Anwalt. Basler, DEVK, Signal Iduna, Zurich und Generali beispielsweise hätten einen „wirklich hervorragenden Job gemacht“. Auch mit der Allianz sei es in den meisten Fällen sehr gut gelaufen. Einige Versicherer hätten eine vorbildlich arbeitende Schadenabteilung, litten aber unter der Qualität der extern beauftragten Sachverständigen.

Unverständlich findet es Krämer, wenn Versicherer nach Monaten an Sachverständigen festhalten, auch wenn die Zusammenarbeit mit ihnen nicht gut funktioniert. „Man muss dann irgendwann mal einsehen, dass es nicht klappt, und den Kollegen austauschen.“ Einige Versicherer hätten dagegen schnell aus Schwierigkeiten gelernt und entsprechende Maßnahmen ergriffen, beispielsweise die R+V, die Krämer zufolge zunächst zu wenig Großschadenregulierer gehabt habe. „Die R+V hat ihre Schadenroutine aber zügig an die Realität angepasst, inzwischen läuft es gut.“

Insgesamt hätten sich die Versicherer mit Verzögerungen selbst geschadet, glaubt Krämer. Die Preissteigerungen bei den Wiederaufbaukosten, die anfangs als temporäres Phänomen nach der Flut angesehen wurden, hätten sich verfestigt. „Da ist es einfach dumm, Putz für ein paar Euro nicht freizugeben, und damit die Wochen ins Land gehen zu lassen.“

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